17
Okt
2007
Gast
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Anstifter

Ziemlich früh im Leben habe ich bereits damit angefangen, Unsinn zu machen. Viele graue Haare haben meine Eltern sicherlich auch mir zu verdanken. Da fällt mir eine Geschichte ein, die mir so mit fünf oder sechs Jahren passiert sein muss. Übrigens, man beachte die Passiv-Konstruktion, ich war schon damals laut eigenen Aussagen immer nur Opfer der Umstände, nicht der Verursacher. So konnte man seine Strafe manchmal mildern, glaubte ich zumindest.

Mein jüngster Bruder hat dieses Prinzip bis zur Vollkommenheit entwickelt, eigentlich alles, was er so tagtäglich verzapfte, war den besonderen Umständen zuzuschreiben, nur nicht das Ergebnis seiner Taten. Aber ich schweife ab.

Also ich war fünf, oder eher sechs Jahre alt. Mein Revier war die Straße vor dem Haus, das Grundstück, auf dem unser Mietshaus stand und ein Stück den Wald hinter der Straße rein. Irgendwo dort fand man mich eigentlich immer. Genauso wie Homie J., der war ein Jahr jünger, aber von der Welt da draußen schien er in meinen Augen immer etwas mehr Ahnung zu haben als ich Träumer. Eines Tages, wie gesagt waren wir noch keine Schulkinder, kam Homie J. aus völliger Langeweile Idee, ein Huhn zu jagen. Er hatte mal im Fernsehen gesehen, wie Indianer so was machten. Dass das, was alte DEFA-Indianerfilme zeigten, auch nicht das wahre Leben widerspiegelte, wussten wir da noch nicht.

Im angrenzenden Wäldchen scharrten oft die Hühner der Nachbarin Frau P. nach Würmern und ähnlichen Leckereien. Anscheinend war der Tisch dort immer reichlich gedeckt, denn dieses Federvieh war fett, nicht sehr gewandt und fliegen konnten die schon lange nicht mehr. Also eine "leichte Beute" für uns. Homie J. besorgte einen Pappeimer, ich ein abgebrochenes Schälmesser aus der Werkstatt meines Vaters (mit dem man eigentlich nur noch Kabel abisolieren konnte). Homie T., den wir unterwegs trafen, nahmen wir gleich mit auf die Jagd.

Von dem halben Dutzend Hühnern, die wir als potentielle Opfer ins Auge fassten, verriet sich alsbald eines als besonders fett, träge und unbeholfen während der Flucht. Schnell hatten wir es eingekreist und einer, ich glaube es war Homie J. packte das jappsende Tier schließlich am Hals und stopfte es in den Pappeimer. Und nun? Auf der Straße, 50 Meter entfernt, gingen gerade die Eltern von Homie H. vorbei, denen irgendwie aufgefallen war, dass wir gerade im Begriff waren, vom Pfad der Tugend abzubiegen. Sie riefen irgendwas herüber, wahrscheinlich die Frage, was wir dort täten. Oh nein, das roch nach großem, großem Ärger. Und den wollten wir unbedingt vermeiden. Wir hatten uns der Huhnentführung schuldig gemacht und bei Entführung hört der Spaß ja bekanntlich auf. Wir beschlossen, uns in den Wald zurückzuziehen. Mit der Antwort "Wir machen nichts!" begannen wir, uns einer näheren Kontrolle zu entziehen und bewegten uns erst langsam, dann immer schneller in den Wald.

Heute gehe ich mal davon aus, dass das Huhn bereits zu diesem Zeitpunkt verschieden war, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach an einem Herzinfarkt, dem es, nebenbei bemerkt, sowieso erlegen wäre, außer es wäre vorher in der Suppe gelandet.

Was wir dann noch alles mit dem (mittlerweile verschiedenen) Huhn anstellten, möchte ich hier nicht ausbreiten. Nach etwa einer Stunde bemerkten wir schließlich, dass das Huhn seinen letzten Seufzer getan hatte. Diese Erkenntnis war schon ziemlich erschreckend, denn wir spielten ja nur das Jagdspiel. Ohgottohgottohgott. So kamen wir schließlich zur Besinnung und dem Schluss, dass es besser wäre, wenn wir uns stellten und alles zugeben würden.

Wir gingen also zur Besitzerin. "Frau P., ihr Huhn ist tot. Tut uns leid. Eigentlich haben wir gar nichts gemacht..." Für den Abend stellte ich mich schon auf eine harte, aber gerechte Bestrafung ein. Ich würde akzeptieren und leiden, aber zumindest war mein Gewissen danach wieder rein. Aber es passierte den Abend nichts mehr. Komischerweise.

Am nächsten Tag im Kindergarten ging der Albtraum dann aber doch los. Jeder wurde einzeln von der Leiterin verhört. Ich glaube, die war verwandt mit den H.s Eltern und hatte Insiderwissen. Im Verhör sollte ich den Tathergang beschreiben. Tat ich auch. Die Verhörtante war aber scheinbar unzufrieden mit meinen Aussagen, sie dampfte richtig. Dann platzte sie es heraus: "Du!Warst!Doch!Der!Anstifter!"

Anstifter? Was verdammt noch mal ist ein Anstifter, fragte ich mich? Ich konnte dieses Wort nicht einordnen, seine Bedeutung kannte ich nicht. Ich nahm an, es hatte was mit Stiften zu tun, die angespitzt werden. Konnte aber gar nicht sein. Denn das war ja nichts Schlimmes. Aber so wie die Frau 'Anstifter' zwischen ihren Lippen hervorpresste, musste es wohl eine ähnliche Bedeutung haben wie 'Terrorist' (Terroristen kannte ich damals natürlich auch nicht, aber zur Darstellung der Bedeutung will ich es trotzdem verwenden, damals dachte ich sowas wie 'Räuber', oder 'Banditen'). Ich stammelte ein unsicheres "Nein?!" als Antwort.

Was für die Chefermittlerin natürlich ihre Überzeugung meiner Schuld nicht ins Wanken bringen konnte. Ich nahm an, das sie gar nicht mit Homie H.s Eltern, sondern eher mit Frau P., oder sogar mit dem Huhn verwandt war. Anders konnte ich mir diesen Einsatz zur Aufklärung des Falls nicht erklären. Später stellte ich Homie J. zur Rede, wegen des 'Anstifter'-Verdachtes, den sicher er in die Welt gesetzt hatte. Wir sprachen danach ungefähr eine Woche nicht miteinander, ehe wir wieder zusammen Dummheiten ausheckten. Also, wie gesagt, ich war nur Opfer der Umstände. Ich bin kein Anstifter.

Is' mir passiert.